Wie schon im ersten Kapitel ausgeführt, wurde das World Wide Web zunächst zum Zweck des Informationsaustausches im Dienste der Wissenschaft in Europa und den USA entwickelt und genutzt. Demzufolge waren die ersten Web-Pioniere wissenschaftlich-technisch versierte Menschen, die das Web westlich sozialisierten.
Das World Wide Web der 90er Jahre war ein Community-Projekt. Die Magie des Informationsaustausches blieb nicht im wissenschaftlichen Spektrum verhaftet, sondern schwappte schnell auf die verschiedensten inhaltlichen Bereiche über. Teile der Hippie-Bewegung, welche sich als Gegenkultur zum Establishment sah, fanden im World Wide Web eine bitter ersehnte Techno-Utopie und formte eine Internet-Ideologie, welche bis heute vor allem den freien Zugang zu Informationen und Open-Source-Kultur propagiert.
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„Es lag noch alles vor uns und die Community war so klein, dass jeder alles sah. Man hatte das Gefühl, dass dies nur der Anfang von etwas wirklich Erstaunlichem war“, fasste der Web-Pionier J. D. Hooge die aufregenden Anfangsjahre des WWW zusammen.
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Online-Communities und Plattformen sind schon seit Beginn des Webs zu finden. So wurde im Jahr 1994 mit „Bianca’s Smut Shack“ einer der ersten (schmuddeligen) Chatrooms des WWW ins Leben gerufen.
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Im selben Jahr startete der Web-Hosting-Dienst GeoCities. Benutzer*innen konnten sich hier ihre eigene kostenlose Homepage in einer „Internet City“ erstellen konnten, welche Bestandteil der URL war. Jede Internet City beherbergte ursprünglich einen eigenen Themenschwerpunkt – „Soho and Lofts“ war zum Beispiel die Stadt für Homepages mit Literatur-Schwerpunkt.
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Durch das Konzept von GeoCities konnten sich die „Bewohner*innen“, die sich Netizens nannten, untereinander finden und sich als Teil einer virtuellen, interessenbasierten Community fühlen. GeoCities wurde damit zu einer Art ersten Social Media, bei dem sich die Benutzer*innen ihre persönlichen Webseiten selbst bauten.
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Die kostenlose Verfügbarkeit senkte die Eintrittsschwelle in die digitale Welt, sodass viele der frühen Internetnutzer*innen, egal ob privat oder beruflich, selbst aktiv werden konnten.
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Seit ihrer Inbetriebnahme 1996 war die „Shooked Site of the Day“ (SSOTD) in der Webdesign-Community eine einflussreiche Adresse. Die Plattform wurde von Macromedia betrieben und präsentierte jeden Tag eine neue Webseite, welche mit Shockwave (der Vorgängerversion von Flash) gestaltet wurde. [7] Das Format brachte die junge Webdesign-Szene zusammen und versorgte sie mit Inspiration und Motivation – ganz unabhängig von geografischem Standort oder Bildungsgrad konnte man hier als Gestalter*in darauf hoffen, durch ein Feature Ruhm und Bekanntheit zu erlangen. Die kostenlose Bereitstellung der Software tat ihr Übriges, um auch extrem junge Menschen ohne finanzielle Mittel mit ins Boot zu holen. [8] Nicht selten entpuppte ein Feature auf der SSOTD als wahres Karrieresprungbrett – so zum Beispiel beim bereits in Kapitel 2 erwähnten Flash-Pionier Gabocorp, der im Alter von 15 Jahren über 400 Emails und 17 Jobangebote erhielt, nachdem seine Homepage 1997 für einen Tag zu SSOTD erklärt wurde. [9]
Auch Künstler erkannten das riesige Potential des neuen Mediums. Das Web brachte einerseits die Möglichkeit mit, eigene Werke auszustellen und so einer breiteren Masse zugänglich zu machen, ohne dabei auf kulturelle, politische oder soziale Institutionen angewiesen zu sein. Andererseits konnte die Webseite zur Kunst an sich werden, indem der Computer und die Code-Sprache als Material genutzt wurden. Diese Internet Art (auch bekannt unter Web Art oder Browser Art) ist oft interaktiv und spielt mit den Missverständnissen und Irritationsmomenten, die entstehen, wenn die Mensch-Computer-Kommunikation fehlschlägt oder wenn Elemente ganz fern von ihrer eigentlichen Funktionalität genutzt werden. Eines der ersten und bekanntesten Vertreter von Internet Art ist das 1994 gegründete niederländische Kollektiv JODI, welches den Computer zu verwandeln scheint „into an unpredictable, terrifying machine that seems to have a life of its own“. [10] Aber sehen Sie selbst:
Natürlich ließ auch die Kommerzialisierung des Webs nicht lange auf sich warten. Bereits 1994 konnte man beim Pizza Hut in Santa Cruz auch online bestellen.
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und das erste Web-Werbebanner wurde auf der Webseite des Web-Magazins HotWired, dem Online-Ableger von Wired, geschaltet. Es enthielt einzig den Satz: „Have You Ever Clicked Your Mouse Right Here?“. Wer würde da nicht neugierig werden?
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1995 wurden Amazon und Ebay (damals noch unter dem Namen „AuctionWeb“) gegründet, und sind seither aus dem Onlinehandel nicht mehr wegzudenken.
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